Tienes que tener paciencia.
Langmut ist auf Kuba seit Langem mehr als nur eine Tugend. 'Paciencia' wirkt wie eine innere Droge: starke Schmerzen bekämpft der Körper morphin and. Patiencia ist das Durchhaltehormon für den kubanischen Frauenalltag.
Seit vielen Jahren herrscht auf Kuba eine besondere Form des Ausnahmezustands. Offiziell heißt das 'periodo especial' und bedeutet soviel wie Krieg ohne Kampfhandlung. Denn das Land steckt in der schwersten ökonomischen Krise seit der Revolution. (...) Die meisten Feiern fallen aus - für Amusement ist kein Peso übrig. Seit der Ostblock seine Existenz quittiert, die USA den Knebel des Embargos einmal mehr fester gezurrt haben und Nicaragua, einziger lateinamerikanischer Verbündeter, von Christdemokraten regiert wird, ist Kuba auch im übertragenen Sinn wieder eine Insel. Fast alle Handelsfäden, die in (...) Jahrzehnten gesponnen wurden, sind gekappt. Nur der Tourismus bildet eine dünne Infusionsleitung, durch die noch ein paar Devisen ins Land tröpfeln.Mit marktwirtschaftlichen Blitzprogrammen wird seit Anfang des Jahres versucht, die notwendigen Valuta zur Rettung des Sozialstaates zu erzielen.Doch mit den importierten Dollars kehren auch soziale Ungleichheit, Prostitution und Rassismus zurück. Die menschenwürdige Gesellschaft, in der Frauen einen gleichberechtigten Platz einnehmen, auf Kuba schon ein recht kräftiges Pflänzchen, droht wieder zur Utopie zu verkümmern.Der Rückzug ins PrivateRezessionen treffen immer zuerst die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft. Über die Alten, Kranken und Kinder hält der kubanische Staat noch seine schützende Hand. Die Wucht des ökonomischen Niedergangs trifft in erster Linie die Frauen. Sie sind die Verwalterinnen des Mangels, Organisatorinnen des Notwendigen und Managerinnen des Minimalen.Wenige Monate nach Beginn der periodo especial verschwinden sie bereits aus dem öffentlichen und politischen Leben. Es gilt jetzt, die Familie und den eigenen Beruf mit der Total-Rationierung aller Dinge des täglichen Bedarfs zu vereinbaren. Denn die Organisation des Haus-halts ist auf Kuba nach wie vor Frauensache, auch wenn laut Gesetz Arbeitsteilung verordnet ist.Stundenlanges Schlangestehen vor der alimentacion gehört genauso dazu, wie die frustrierende Feststellung, daß, hat man endlich etwas Eßbares ergattert, die Zubereitung einer Mahlzeit am mangelnden Gasdruck scheitert.
Der Rückzug ins Private
Rezessionen treffen immer zuerst die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft. Über die Alten, Kranken und Kinder hält der kubanische Staat noch seine schützende Hand. Die Wucht des ökonomischen Niedergangs trifft in erster Linie die Frauen. Sie sind die Verwalterinnen des Mangels, Organisatorinnen des Notwendigen und Managerinnen des Minimalen.Wenige Monate nach Beginn der periodo especial verschwinden sie bereits aus dem öffentlichen und politischen Leben. Es gilt jetzt, die Familie und den eigenen Beruf mit der Total-Rationierung aller Dinge des täglichen Bedarfs zu vereinbaren. Denn die Organisation des Haus-halts ist auf Kuba nach wie vor Frauensache, auch wenn laut Gesetz Arbeitsteilung verordnet ist.Stundenlanges Schlangestehen vor der alimentacion gehört genauso dazu, wie die frustrierende Feststellung, daß, hat man endlich etwas Eßbares ergattert, die Zubereitung einer Mahlzeit am mangelnden Gasdruck scheitert.Kubas Hauptnahrungsmittel Reis und Bohnen müssen nunmal gekocht werden: Fehlt die Flamme, knurrt der Magen, (schreien die Kinder, nörgelt der Ehemann). Da hilft nur paciencia., und davon reichlich.Bis zu acht Stunden täglich sind Havannas Stadtbezirke ohne Wasser und Elektrizität. Immer reihum, immer zu anderen Tageszeiten. Waschen, bügeln, Geschirr spülen - wer zu spät kommt, den bestraft die Stromsperre."Die Revolution war eine dreifache Befreiung..""... als Schwarze hat sie mich vom Rassismus und dem Nichtzugang zu Bildung befreit, als Frau vom kubanischen Machismo."Rosi Sotolongo Peréz, Rechtsanwältin und Notarin, schränkt den letzten Teil ihrer Aussage nachträglich etwas ein: "Naja, den Machismo gibt es natürlich immer noch," lacht sie "aber Rom ist ja auch nicht an einem Tag erbaut worden."Rosi gehört zu den Gründungsmitliedern der kubanischen Frauenorganisation FMC, die seit 1960 für die Verbesserung der Lebenssituation der Kubanerinnen kämpft und die gesellschaftliche Ächtung der Prostitution durchgesetzt hat - inklusive der behutsamen Wiedereingliederung von ehemaligen Prostituierten in den 'normalen' Arbeitsprozeß.Immer hat sie fest an die Notwendigkeit geglaubt, ihr eigenes Leben mit der Revolution zu verknüpfen."Eine schöne Aufgabe war das", meint sie heute und wählt dabei wohl eher unbewußt die Vergangenheitsform. "Unsere moralischen Werte und Traditionen sind spanischen und afrikanischen Ursprungs - eine Mischung voll von machistischem Sprengstoff. Wir haben es geschafft, ihm die Kraft zu nehmen, ohne dabei unseren kulturellen Wurzeln untreu zu werden."Die Anwältin abstrahiert, gelernt ist gelernt, und weicht kritischen Fragen geschickt aus.Wenn Rosi von "uns" spricht, meint sie die Kubaner und ihre Revolution. Frauenbewußtsein auf Kuba hat nichts plakativ Feministisches."Fidel hat immer gesagt, die Frauenbefreiung ist eine Revolution innerhalb der Revolution. Er hatte Recht. Die patriarchalisch strukturierte kubanische Familie hat sich in den letzten drei Jahrzehnten grundlegend verändert. Rechte und Pflichten sind, zumindest auf dem Papier, gleich verteilt, Vernachlässigung der häuslichen Aufgaben durch den Mann gilt als offizieller Scheidungsgrund. Der Frauenanteil der arbeitenden Bevölkerung liegt bei 50% und für die Kinderbetreuung ist ähnlich flächendeckend gesorgt wie in der Ex-DDR." Vielen Dank. So viel steht auch in jeder offiziellen Verlautbarung.Rosi sieht müde aus. Nicht, daß sie zur Zeit im Büro überlastet wäre. Nein, sie betreut ihre schwer Diabetes-kranke Mutter und die eigene Tochter. Dafür ist sie von ihrem verantwortungsvollen Job zeitweise beurlaubt. Erst auf Nachfragen räumt sie schließlich ein: "Ja, die tägliche Rennerei wächst mir über den Kopf. Jeden Morgen stehe ich um 6 Uhr auf, versorge Mutter und mache die Runde: Vom Brotladen zum Schlachter, vom Gemüseladen zur Apotheke und so weiter. Nur um zu gucken, ob irgendetwas von dem angekommen ist, was uns laut libreta (=Bezugsschein, Anmkg.) zusteht. Oft genug kehre ich mit leeren Händen zurück. Aber was soll ich machen? Das Recht auf landwirtschaftliche Produkte verfällt zum Beispiel, wenn ich mich drei Tage nicht habe sehen lassen. Und für die Intur-Läden fehlen mir die Dollars. Es mangelt an allem: Fleisch, Obst, Fett. Und Milch gibt es nur noch für Kinder bis sieben Jahre." War das früher anders? "Oh ja, da gab es auch einen freien Markt, wo man ohne libreta gegen Pesos einkaufen konnte. Meine Wäsche habe ich morgens in die Wäscherei gegeben und sie abends sauber und frisch gebügelt wieder abgeholt. Das ist vorbei: Kein Wasser, kein Waschpulver. Früher konnte ich auch noch einigeWege mit dem Bus zurücklegen. Heute mache ich alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad: Man weiß ja nie, wann oder ob überhaupt ein Bus kommt." Was ist das Schlimmste an der jetzigen Situation? "Die zeitliche Zerrissenheit und diese ständige Frustration. Außerdem: Ich vermisse die geistige Arbeit, meinen Job. Aber wenn ich den auch noch machen müßte, ginge hier zuhause gar nichts mehr." Für Rosi sind all diese Einschränkungen Übergangserscheinungen: "Wenn wir die periodo especial überwunden haben, knüpfen wir dort an, wo wir vor drei Jahren aufgehört haben." Wann das sein wird, dazu mag sie sich nicht äußern: "Ich bin Anwältin, keine Ökonomin."
"Leben ist eine große Schwierigkeit"
Cecilia Pendás Gil ist Ökonomin am Institut für Weltwirtschaftsforschung in Havanna. Ein renommierter Arbeitsplatz, doch auch im post-revolutionären Kuba ist die 35-jährige hier eine der wenigen Frauen unter vielen männlichen Kollegen. Sie ist geschieden und hat einen kleinen Sohn, den sie allein erzieht. Ihr Alltag ist ein ständiges Rennen gegen die Uhr: Morgens den Kleinen in die Vorschule. Dann der quälende Weg ins Institut, von dem sie nie weiß, wie lange er dauern wird. Zwischendurch: Schlangestehen in der cola, Arbeit, nochmals cola. Abends das Ganze retours. Das Transport-Problem ist für sie dasselbe wie für Millionen anderer Habaneros. Cecilia arbeitet nicht des Geldes wegen - für Pesos gibt sowieso kaum mehr etwas - sondern um Lösungen zu entwickeln, wie ihr Land aus der Krise wieder herauskommt, ohne seine sozialen Errungenschaften völlig einzubüßen. Und natürlich will sie ihre akademische Laufbahn vorantreiben. Aber: "Meinen Doktortitel zu machen, ist momentan vollkommen utopisch. Dafür bräuchte ich Zeit, und die läßt mir der Alltag einfach nicht." Cecilia ist ein Energiebündel. Die Geschwindigkeit, mit der sie (deutsch!) spricht, nachdem sie gerade zur Tür hereingestürmt ist, macht selbst Zuhörer atemlos. Umso erschreckender klingt ihre Aussage: "Ich bin nur noch müde. Die ständige Organisiererei frißt mich auf. Ich hatte eigentlich immer viel Power, aber jetzt mache ich mir Sorgen, daß ich für meinen Sohn nicht mehr genug Kraft habe. Dann sage ich mir wieder: du mußt nur im Kopf gesund bleiben und dich ab und zu mal freuen. Alle Kubaner lieben das Leben. Aber Leben ist eine große Schwierigkeit. Keine Ahnung, woher ich die Wundsalbe nehmen soll, die mein Sohn dringend braucht. Seife kriege ich seit Wochen nicht, und Dir kann ich noch nicht mal einen Kaffee anbieten." Mit Dollars wäre das kein Problem? "Nein, damit gibt es seit Juli fast alles. Aber in meinem Job habe ich keinen Zugang zu Devisen. Vor drei Monaten habe ich einen Goldring versetzt, mit schwarzer Koralle. 40 Dollar hat das gebracht und alles ist draufgegangen für Öl, Lebensmittel und Seife. Hätte ich einen Job im Tourismus, hätte ich den Ring behalten können. Aber ich bin gerne Wissenschaftlerin." Im Gegensatz zu Rosi hegt Cecilia keinen Zweifel, daß die periodo especial die Kubanerinnen um Jahre zurückwirft: "Wir tragen die Hauptlast. Vor fünf Jahren hatten wir noch annähernd die gleichen beruflichen Möglichkeiten wie Männer und mehr Anteil am öffentlichen Leben. Aber die momentane Situation drängt uns zurück in die Privatsphäre, in das Klein-Klein, um das sie sich nie zu kümmern gelernt haben. Dieser Rückzug ins Private - das ist der größte Rückschlag, und keine hat damit gerechnet." Steigt denn die FMC, diese mächtige Interessenvertretung der Frauen, dagegen nicht auf die Barrikaden? "Die FMC hat einmal eine große Rolle gespielt. Doch die Frauenfrage rückt zur Zeit in den Hintergrund angesichts unserer großen ökonomischen Probleme. Manche Männer finden das auch sehr angenehm. Sie stützen sich nur zu gerne wieder auf die Arbeit der Frauen, weil das jetzt kein politisches Thema mehr ist, sondern nur noch ein privates." Gegen Ende unseres Gesprächs klopft es an der Haustür. Als Cecilia öffnet, steht dort eine Unbekannte, die ihr Seife anbietet. Was sie denn dafür haben will? Ein Uhrwerk, zum Einschmelzen. "No lo tengo," sagt Cecilia. Ihre Uhr will sie behalten.
"Ich lebe nicht für Reis und Bohnen." Marisa trägt ein dunkelrotes Schlauchkleid, jede Menge billigen Goldschmuck und weiße Stilettos an den Füßen. "Nur zehn Minuten", hat sie angekündigt, "mehr ist nicht drin." In Santa Maria del Mar, an der Uferstraße von Havannas Vorzeigestrand, herrscht Hochbetrieb. Es ist Freitagabend, kurz bevor die Touristen in die umliegenden Discos ausschwärmen. Auf einen davon hat Marisa es abgesehen."Schön muß er nicht sein, aber ein bißchen nett." Ob sie Geld von ihm nehmen wird? "Das kommt darauf an." Worauf? "Na, was er dafür haben will." Sie lacht und zeigt blitzweiße Zähne. Marisa ist 14 Jahre alt und schon jetzt eine perfekte Kopie jener schokoladenfarbenen Gazellen aus der Bacardi-Werbung. Sie und ihre Freundinnen haben es sich zum Wochenendsport gemacht, mit Touristen anzubändeln, ".... um ein bißchen Spaß zu haben und vielleicht ein Abendessen. Ich lebe doch nicht, um jeden Tag Reis und Bohnen zu essen!" Marisa findet es normal, daß auf der Straße auch ein paar ältere Mädchen herumlaufen, die sich ganz eindeutig prostituieren. "Das ist deren Sache." sagt sie schulterzuckend und fügt fast entschuldigend hinzu: "Ich kenne ein paar von denen. Die meisten haben eine gute Ausbildung, sprechen eine Fremdsprache oder zwei. Eine ist sogar Ärztin, die macht das so nebenbei." Marisa spricht Spanisch, ein paar Brocken Englisch und hat kein großes Interesse an der eigenen Ausbildung. "Es kommt sowieso alles bald ganz anders. Politisch und so." Ob sie für den Fall denn nicht auch einen Beruf braucht? "Nein, dann arbeite ich als Kellnerin, da verdient man auch gut."Der Straßenstrich auf Kuba boomt. Für ein paar Drinks, den Eintritt zur Disco oder ein Abendessen, (in touristisch weniger erschlossenen Gebieten auch mal für ein Fläschchen Shampoo), wird die sprichwörtliche kubanische Erotik zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor - denn es gibt sie nur gegen Devisen und die sind rar. Am Anfang steht für die Mädchen oft nur das Bedürfnis nach ein bißchen Abwechslung, denn
... "... alles was Spaß macht, ist gestrichen." Rein materielle oder gar physische Not leidet hier keine. Sind dann die ersten spannenden Kontakte mit Ausländern gelaufen (denn auch die sind ja auf ihre Art 'exotisch'), ist es vom harmlosem Flirt bis zur jinateira (Reiterin), die sich gegen Geld verkauft, oft nicht mehr weit. Sex für Geld ist auf Kuba ein Phänomen, das man schon ausgerottet wähnte. Bis der Tourismus es re-importierte. HIV inklusive. Offiziell gibt es noch immer keine Prostitution auf der Insel. Aber ob am Malécon in Havanna, in der Altstadt von Santiago oder hier in Santa Maria: überall wimmelt es von mehr oder weniger professionellen 'Anbieterinnen'. Die schnelle Abkehr vom sozialistischen Ideal der Nicht-Käuflichkeit von Liebe hat neben dem purem Mangel an Lebensqualität auch noch eine andere tückische Komponente. Tückisch deshalb, weil sie die fragile Moral einer jungen Gesellschaft zersetzt.Sexualität ist in den letzten 30 Jahren durch Enttabuisierung der afrikanischen Einflüsse, durch diese hocherotische Mischung von Musik, Tanz und Körpersprache zu einem Allgemeingut geworden, an dem Frauen und Männer in erstaunlich gleichberechtigter Weise partizipieren. Mögliche 'Folgen' gingen im Sozialismus nicht allein auf Kosten der Frauen, Schwangerschaftsverhütung oder -abbruch waren keine Frage der Moral, sondern Teil der medizinischen Versorgung. Mutterschaft wurde erleichtert und Geld besaß keine unmittelbare Autorität. Vergewaltiger waren geächtet, Sex und Macht keine Blutsbrüder mehr. Solange also auch um der eigenen Lust willen kokettiert wurde, herrschte eine Art zerbrechliches Patt zwischen den Geschlechtern. Die jungen Mädchen, die sich heute mit ausländischen Freiern einlassen, treffen auf eine andere sexuelle Kultur, in der Geld wieder gleich Macht ist und Erotik eine Sache, die man kaufen kann.Marisa ist stolz auf ihren Körper und, wie fast alle Kubanerinnen, eine leidenschaftliche Tänzerin. Die Diskotheken, die früher für alle frei zugänglich waren, verlangen jetzt unerschwingliche Preise - in Dollar. Es ist Wochenende, die Nacht ist jung und schwül. Wer könnte es verübeln, wenn Marisa sich vom erstbesten freundlichen Kanadier den Eintritt spendieren läßt? Wie ein kleiner roter Vogel hängt sie an seinem Arm. Wild gestikulierend verschwinden beide ins Land, wo Rum und Cola fließen und der Salsa umsonst ist. Paciencia ist nicht Marisas Sache und Ungeduld ein Privileg der Jugend. Aber politische Alternativen brauchen Zeit. Bis dahin sind die ersten jinateiras bereits an Aids gestorben.
für: EMMA 1995